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Das Empörium schlägt zurück: Was tun gegen Meinungsmache durch Fake News und Hate Speech im Internet?
Die politisch Verantwortlichen in Berlin und Brüssel machen sich seit Jahren Gedanken darüber, wie sie gegen Meinungsmache durch Falschmeldungen und Hassbotschaften im Internet vorgehen können. Leider haben die Staatslenker bisher keine angemessene Antwort auf diese Frage gefunden. Vielmehr dominieren Hilflosigkeit und Achselzucken im Umgang mit Fake News und Hate Speech und oftmals kann man sich des Gefühls nicht erwehren, dass auf diese durchaus gesellschaftlich relevanten Probleme mit Symbolpolitik reagiert wird, anstatt die zugrundeliegenden Ursachen anzugehen. Dabei gäbe es durchaus praktische Maßnahmen, die ergriffen werden könnten, um Desinformation im Internet zu begegnen.
In ganz Europa, aber insbesondere auch in Deutschland gibt es einen nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung, die das Vertrauen in etablierte Medien und Politik verloren haben. Stattdessen werden alternative Nachrichtenportale und soziale Medien konsumiert, um politische und gesellschaftliche Informationen zu erhalten. Was dort teilweise zum Besten gegeben wird, hat natürlich das Potenzial, die politische Meinungs- und Willensbildung massiv zu beeinflussen. Politiker befürchten mittlerweile, dass sich das bei Wahlen in Deutschland und anderen europäischen Ländern auswirken könnte. Ähnliche Phänomene sind ja bereits bei den US-Präsidentschaftswahlen 2017 aufgetreten, bei denen Donald Trump massiv auf Kampagnen in sozialen Medien gesetzt hat - und damit während seiner gesamten Präsidentschaft omnipräsent und sehr erfolgreich war.
Aktuell wird die sozialmediale Meinungsmache vor allem durch die Coronapandemie, den Klimawandel, die Gender-Thematik und natürlich den Krieg in der Ukraine befeuert. Hier prallen sowohl fundierte Argumente als auch hasserfüllte Botschaften aufeinander und Faktenchecker haben alle Hände voll zu tun, um die Kommentarspalten sauber zu halten. Aber auch vermeintlich harmlose Sachverhalte wie persönliche Essgewohnheiten (Stichwort: Vegane Ernährung), erzeugen geifernde Lager, die sich unversöhnlich gegenüberstehen. Das eine wählt sich auf einer moralisch höheren Ebene, das andere fühlt sich bevormundet und belehrt - ein respektvoller Austausch von Meinungen und Argumenten ist kaum noch möglich. Und nicht selten auch gar nicht mehr gewollt.
In Europa wird bei solchen Entwicklungen schnell mit umfassender Kontrolle und Verboten argumentiert, viele Aktivitäten und Aktionen der Politik scheinen auf den ersten Blick sogar nachvollziehbar. Dennoch ist Vorsicht geboten, bevor Maßnahmen ergriffen werden, die die Meinungsfreiheit und rechtsstaatliche Grundsätze einschränken - Proteste gegen allzu verwegene Vorstöße sind daher ebenso verständlich wie nötig. Ebenso kontraproduktiv ist es, wenn Politik und Medien fehlende Argumente ihrerseits mit Methoden der Demagogen und Verleumder ersetzen - und beispielsweise Menschen, die durchaus berechtigte Kritik an politischen Entscheidungen üben, pauschal "in die rechte Ecke" stellen. Das heizt den Diskurs "unter der Gürtellinie" an und ist keinesfalls hilfreich beim Austausch konträrer Meinungen.
Es ist fraglich, ob die Einführung neuer Straftatbestände zur Verfolgung von Hass und Desinformationskampagnen sinnvoll oder verfassungsrechtlich haltbar wäre. Es gibt nun mal einen fließenden Übergang zwischen Desinformation und anderen Arten von unwahren oder verzerrten Meldungen - und eine riesengroße Grauzone. Zudem gibt es bereits wirksame Paragraphen wie Volksverhetzung, Verleumdung und üble Nachrede, die unwahre Tatsachen verbieten. Das Problem bei der Bekämpfung der Verbreitung von Fake News und Hassrede liegt daher weniger an fehlenden, sondern an der mangelnden Durchsetzung bestehender Gesetze, die zudem ausschließlich in Europa angewendet werden könnten. Unternehmen wie Facebook und Google sind juristisch bisher kaum angreifbar und zeigen sich sehr zögerlich bei der Löschung von solchen Inhalten. Eine Selbstverpflichtung der sozialen Netzwerke zur Löschung bestimmter Inhalte wäre auch nicht wünschenswert, da marktbeherrschende US-Konzerne dann unkontrolliert darüber entscheiden würden, wie weit Meinungsfreiheit im Netz geht.
Es ist schwierig, international Maßnahmen gegen die Verbreitung von Hass und Fake News auf Social-Media-Plattformen zu ergreifen, da eine gesetzliche Verpflichtung zur proaktiven Filterung von Inhalten technisch schwer umzusetzen und schon europarechtlich problematisch wäre. Zudem sind die Algorithmen der sozialen Netzwerke darauf getrimmt, dass heftig und kontrovers diskutierte Beiträge im Ranking besser abschneiden als "normale" Posts und damit Online-Werbung noch luktrativer machen, wenn sie an entsprechender Stelle ausgegeben wird und unzählige Nutzer erreicht.
Obwohl Facebook, Google, Twitter und ein paar andere angekündigt haben, gemeinsame Inhaltsfilter zur Bekämpfung von terroristischer Propaganda zu verwenden, ist die Filterung von Fake News und Hassrede hochkomplex und nicht durch ein paar Algorithmen zu bewältigen. Der neue Eigentümer von Twitter, Elon Musk, hat zudem einige Grundsätze schon wieder über den Haufen geworfen. Eine Verschärfung der Haftung von Host-Providern für rechtswidrige Postings der Nutzer würde darüber hinaus das rechtliche Fundament von Online-Angeboten insgesamt erschüttern und insbesondere Unternehmen mit Sitz in der EU benachteiligen.
Es gibt immerhin Ansätze auf EU-Ebene, um Phänomene wie Fake News und Hate Speech in den Griff zu bekommen. Die Datenschutzgrundverordnung und der Entwurf der ePrivacy-Verordnung enthalten Bestimmungen, die Online-Dienste dazu verpflichten, sich an europäisches Datenschutzrecht zu halten und eine verantwortliche Person benennen, an die sich Betroffene wenden können. Allerdings richten sich diese Maßnahmen bisher kaum gegen die Internet-Großkonzerne, vielmehr beklagen sich viele klein- und mittelständische Unternehmen über eine kaum noch nachzuvollziehende Gängelei mit datenschutzrechtlichem Hintergrund - inzwischen ebenfalls ein deutlich wahrzunehmender Wettbewerbsnachteil im internationalen Geschäft.
Dabei wird einer der wichtigsten Faktoren immer unterschätzt und nachrangig behandelt: Eine exzellente Bildung ist einer der Grundpfeiler, um den Einfluss von Fake News und Hassbotschaften zu reduzieren. Doch zur Wahrheit gehört auch, dass bei der Qualität des Unterrichts und bei der Digitalisierung des Schulsystems insbesondere Deutschland mittlerweile um Jahrzehnte hinterher hinkt. Hier braucht es schon lange einen "Wumms", massive Investitionen in Bildungseinrichtungen zur Förderung der Medienkompetenz sind unabdingbar. Doch mehr als warme Worte seitens der Politik waren bisher nicht zu vernehmen.
Foto: Andrea Piacquadio
22.03.2023
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