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Michael Schmidtvon M. Schmidt

Ich sitze mit dem Martin in einem Café und der kaut mir ein Ohr ab und will mir die geheimsten aller geheimen Suchmaschinenoptimierungstricks aus dem Kreuz leiern. Eigentlich habe ich mich mit dem Martin getroffen, um über die Rechtsberatung bei einem Kundenprojekt zu sprechen - leider ist mir das Thema komplett entglitten und der Martin lässt einfach nicht locker.

Nun sollte man vielleicht erwähnen, dass der Martin Rechtsanwalt ist, ein recht guter noch dazu, genau deshalb wende ich mich ja seit Jahren genau an ihn, wenn irgendwo der Schuh drückt oder ich im Rahmen eines Kundenprojekts eine fundierte Rechtsberatung benötige. Da mache ich keine halben Sachen, da will ich s genau wissen, schließlich bekomme ich die Rechtssicherheit eines Dokuments von ihm schriftlich garantiert und bestätigt und eine Überarbeitung bei Änderung der gesetzlichen Vorgaben ist auch noch drin.
Das kostet natürlich etwas, aber das ist es mir wert. Wenn ich gegenrechne, was mich gegnerische Anwälte bei vermeidbaren Fehlern kosten würden, ist das eine gute Investition und auch meine Kunden wissen das inzwischen zu schätzen.

Umgekehrt ist das leider nicht so - und deshalb will der Martin in 10 Minuten alles wissen, was es über Suchmaschinenoptimierung zu wissen gibt. Denn die Seite seiner Kanzlei ist bei Google nach Eingabe von entsprechenden fachspezifischen Keywords auf Seite 21 zu finden - bei Yahoo sucht man sie vergeblich. Und das kann's ja nun nicht sein, ne?

Ach so, aha, die Seite hat die Astrid gemacht. Astrid wer? Die Astrid ist die Assistentin im Sekretariat der Kanzlei. Ja, die Hübsche. Und die hat ja schließlich den Kurs "Web-Design für Frauen" an der Volkshochschule mit einem schönen bunten Zertifikat abgeschlossen.

Ich kann dem Martin einfach nichts abschlagen - das Notebook steht eh auf dem Tisch, Antenne rein, den Hotspot des Cafés angetriggert und schon sind wir online. Schnell noch die Adresse der Kanzlei in den Browser getackert - wenige Sekunden später wird mein fachmännischer Blick von einer Seite beleidigt, die sogar unwürdig wäre, zur Präsentation eines Vereins zur Pflege der Gartenzwergkultur zu dienen. Ich bin sprachlos. Schockiert. Ich muss erstmal einen Schluck nehmen.

"Das ist die Seite deiner Kanzlei?" frage ich ungläubig und mein Blick bleibt an einer wehenden englischen Flagge aus einer kostenlosen Clipsammlung mit arg verpixeltem Rand hängen unter der zu lesen ist 'Letzte Änderung: 21.09.2004'. Irgendwann hat sich auch das Logo der Kanzlei aufgebaut. Zum Glück besitze ich ein aktuelles Notebook und kann mit offen stehendem Mund der Aufforderung 'Optimiert für MS Internet Explorer 1024 x 768' spielend nachkommen. Trotzdem geht der verdammte Querscrollbalken unten nicht weg.

Noch immer bin ich dabei, das ganze Unheil zu erfassen und zu verarbeiten. "Ist nicht dein Ernst, oder?" frage ich mehr zu mir selbst, als ich in der Titelzeile des Browsers 'Unbekanntes Dokument' zu sehen kriege.

Das zusammengestümperte Logo mit verwässerten Kanten, denen man noch die ursprüngliche Hintergrundfarbe ansehen kann, prangt im Header - typische Anzeichen einer gescannten Visitenkarte. Die Farbkombination Blau, Lila, Rot, Gelb in den unterschiedlichsten Ausprägungen beleidigt auch ungeübte Augen. Graue GIF-Buttons aus der Frühzeit des Netscape-Composers, die beim Überfahren einen Javascript-Fehler auslösen, laden mich zu einer netten Navigationspartie ein - leider lande ich auf einer NOT FOUND bei meinem Klick auf AKTUELLES.
"Herzlich willkommen! Wir freuen uns, Sie auf der Homepage der Anwaltskanzlei K…. & Partner begrüßen zu dürfen. Hier erfahren Sie alles Wissenswerte über unsere Angebote und Dienstleistungen. Vertrauen Sie auf unsere langjährige Erfahrung in den Fachgebieten…" frohlockt das Frameset auf der Startseite.

"Jetzt mal ganz ehrlich, Martin." frage ich, "Wie viele Interessenten haben sich über diese Seite schon bei Euch gemeldet?" Martin druckst herum - ich kenne die Antwort. Auf der ganzen Seite ist kein Kontaktformular zu finden - geschweige denn eine Email-Adresse - wegen dem Spam, sagt die Astrid, sagt der Martin. Und der Hammer: Auf den Seiten einer Kanzlei ist kein rechtsgültiges Impressum zu finden.

"Stell Dir mal folgendes vor, Martin:" sage ich. "Du kaufst Dir einen Spiegel oder sagen wir die Süddeutsche. Auf der ersten Seite steht: 'Herzlich willkommen. Wir freuen uns, dass Sie unsere Zeitung gekauft haben. Hier erfahren Sie alles aus der aktuellen Politik. Vertrauen Sie auf unsere langjährige Erfahrung im Journalismus…' - wie viele Leser würden wohl zu dieser Zeitung greifen?" Martin beginnt zu begreifen.
"Eines der relevanten Schlüsselwörter in Deinem Text wäre 'Anwaltskanzlei', schau mal, Google findet alleine dazu 2.170.000 Entsprechungen. Sollen wir jetzt wirklich anfangen, die Position Deiner Seite zu ermitteln?" Martin sieht ein, dass das verschwendete Zeit wäre.

Noch ein flüchtiger Blick in den Quellcode des Hauptframes - ich schließe das Editorfenster sofort wieder, so etwas kann ich einfach nicht sehen. Eine sechsfach verschachtelte Tabelle zur Darstellung des Willkommensgrußes veranlasst auch den gutmütigsten aller Robots, das Areal sofort zu verlassen.

Ich lehne mich zurück und tupfe mir den Schweiß von der Stirn. "Jetzt sag mir mal, Martin. Wo gehst Du hin, wenn Dein Merceding nicht läuft? Richtig! In die Fachwerkstatt - und nicht zu jemanden, der einen Satz Schraubenschlüssel in der Garage hat. Wo gehst Du hin zum Haare schneiden? Richtig, zum Friseur - und nicht zu jemanden, der eine Schere im Badezimmer hat. Und wo warst Du, als man Dir den Blinddarm raus genommen hat? Ganz genau, im Krankenhaus! Hätte das nicht die Astrid erledigen können? Ne Pulle Chloroform und ein Messer hätte man doch auftreiben können, oder? Ja selbst Deine Visitenkarten lässt Du Dir doch von einer Druckerei drucken und nicht von Deinem Bürolaser! Nein, Du geht's zu den Fachleuten, anderenfalls wird es teuer oder es tut weh oder Beides! Und ich gehe zu einem guten Anwalt, wenn ich professionelle Hilfe brauche - obwohl ich auch mehrere Kurse zum Thema Medienrecht belegt habe."

Martin schluckt aufgeregt an seinem Latte Macchiato.

"Aber die Präsentation Deiner Kanzlei im Internet - das lässt Du die Astrid machen. Und wenn die Astrid die beste Teamassistentin der Welt ist - wovon ich mal ausgehe - das Fachwissen zur Webentwicklung lernt man nicht in 3 Monaten Abendkurs Volkshochschule. Web-Design, Web-Entwicklung, (X)HTML Coding, Scriptsprachen, Grafikbearbeitung, Datenbanken, Server-Techniken, ja Projekt-Management - das alles sind hochkomplexe Fachgebiete, die entweder durch ein Informatikstudium oder jahrelange Praxiserfahrung erschlossen werden. Das belegt man nicht mit Abendkursen. Und jetzt ist Deine Seite richtig teuer geworden."

"Wieso teuer? Hat doch nix gekostet? Das hat die Astrid so nebenher gemacht, wenn Luft war…"

"Rechne jetzt einfach mal alle potentiellen Mandanten zusammen, die Deine Kanzlei aufgrund des grottenschlechten Codings NICHT gefunden haben. Rechne die dazu, die DAVONGELAUFEN sind, weil sie von der nicht gerade vertrauenserweckenden Gestaltung der Seite auf die Professionalität Deiner Anwälte geschlossen haben. Plus die, die zwar gerne gewollt hätten, Dich aber NICHT ERREICHT haben, weil alle Kontaktdaten gut versteckt sind…"
Ich kann förmlich sehen, wie hinter Martins Stirn arithmetische Kalkulationskunststücke praktiziert werden. Schließlich steht die Seite seiner Kanzlei seit einigen Jahren (unverändert) im Netz.

"Und was würde es kosten, wenn Du…?" Martin ist einer von der schnellen Sorte. "Keine Ahnung!" antworte ich ehrlich, "Lass uns Deine Anforderungen fixieren. Lass mich meine Aufwände berechnen. Lass uns das Projekt vernünftig planen. Aber dann bin ich mir sicher, dass es keine 10 Prozent von der Summe sind, die Du als letztes im Kopf hattest!"

20.03.2008

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