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Causa Drachenlord - brauchen Youtuber eine Rundfunklizenz?

"Ich missbillige, was du sagst, aber ich werde bis zum Tod dein Recht verteidigen, es zu sagen."

Rundfunklizenz für StreamingangeboteDieser Satz, der fälschlicherweise immer Voltaire zugeschrieben wird (und in Wahrheit von seiner Biografin Evelyn Beatrice Hall stammt), wird einmal mehr von aktuellen Ereignissen eingeholt. So wird im Netz derzeit eine Provinzposse aus dem mittelfränkischen Emskirchen heiß diskutiert, wo der Youtuber "Drachenlord" ins Visier der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) geraten ist.

Die hatte bereits im Februar den Youtube-Livestream des "Drachenlords" untersagt - mit Hinweis auf die fehlende Rundfunklizenz für das Angebot. Also wechselte Rainer Winkler - so der richtige Name des Anbieters - zu einer anderen Plattform und machte bei YouNow weiter, wo die User einen "Drache_Offiziell"-Stream abrufen konnten.

"In seinem Stream richtet sich Rainer W. an die Allgemeinheit, kommentiert und beantwortet erhaltene Chat-Nachrichten und trägt damit zur öffentlichen Meinungsbildung bei. Aus diesen Gründen ist "Drache_Offiziell" als Rundfunk zu bewerten", so die BLM in einer Pressemitteilung.

Sie haben richtig gehört. Nach der Lesart der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien bräuchte ab sofort jeder Youtuber, jedes Instagram-Kosmetik-Schmink-Girlie, jeder Live-Gamer - letztendlich jeder, der einen Stream oder einen Podcast anbietet, eine gültige Rundfunklizenz. Ansonsten drohen Verbote und - wenn man die Geschichte zu Ende denkt - zivil- und strafrechtliche Konsequenzen. Schließlich wendet sich so gut wie jedes dieser Angebote an eine Vielzahl interessierter User. Nicht wenige Anbieter erreichen Zuschauerzahlen, von denen der öffentlich-rechtliche Rundfunk träumt - das alles ist somit "öffentliche Meinungsbildung", schließlich wird "regelmäßig" und eine "große Anzahl" Publikum erreicht. Sogar die Bundesregierung gönnt sich einen eigenen Kanal - die Frage nach deren Rundfunklizenz muss daher erlaubt sein.

Die juristischen Folgen des Vorgangs insgesamt sind kaum abzuschätzen. Zudem hat eine derartige Anwendung der geltenden Gesetze einen äußerst bitteren Nachgeschmack. Insbesondere jetzt, wo seitens des EU-Parlaments die zu Recht vielgescholtene Urheberrechtsreform gewissermaßen durchgewunken wurde. Wenn die Entscheidung der BLM Schule macht, wäre dass das Ende vieler Streams und Podcast, ganz gleich ob politischer oder unternehmersicher Natur - oder ganz einfach Spaß und Unterhaltung.

Der "Drachenlord" kann gegen die Entscheidung der Behörde innerhalb eines Monats Rechtsmittel einlegen.

Moment mal, wer ist das, der "Drachenlord"? Muss man Rainer Winkler kennen? Nein, muss man nicht. Bisher ist der im Netz eher unangenehm mit Pöbeln, blöden Sprüchen sowie fragwürdigen Statements zu Politik, Gesellschaft und Geschichte aufgefallen. Zeitweise ist Winkler derart angeeckt, dass es zu Hassdemos gegen ihn in seinem Heimatort kam, bei denen mehrere hundert Personen aufgelaufen sind. Die Polizei musste eingreifen, das Gelände sperren, letztlich den ganzen Ort abriegeln und sprach etliche Platzverweise aus. Der "Drachenlord" war an dieser Entwicklung nicht ganz unschuldig, hatte er doch wieder und wieder seine Zuschauer provoziert und am Ende zur "Klärung von Angesicht zu Angesicht" vor seiner Haustür aufgerufen.

Dass man da auf den Schirm der Behörden landet, kann man sich ausrechnen. Und es ist gut, dass die Bayerische Landeszentrale für neue Medien ein Auge auf allerhand Spinner hat, die das Internet bevölkern. Aber anstatt sich die Mühe zu machen, in den Streams des Drachelords nach Inhalten zu suchen, deren Aussage strafrechtliche Relevanz besitzen, dreht man am ganz großen Rad und stellt einen Großteil der Netzkultur in Frage. Wo soll das hinführen?

In den sozialen Medien wird dieser Coup als weiterer Angriff auf die Netzgemeinde wahrgenommen, der "Versuch einer Neuland-Behörde, die den Unterschied zwischen Rundfunk und Telekommunikation nicht kennt". Bei Facebook argwöhnen User, dass die "GEZ Nutznießer unliebsame Konkurrenz aus dem Weg räumen". Ein anderer schreibt süffisant, dass sich die BLM wahrscheinlich auf das "Reichstelegrafengesetz von 1904" berufe.

Ein weiterer Nutzer schreibt: "Der Staat kennt in seiner Regulierungs- und Überwachungswut schon lange keine Grenzen mehr. Das Internet versteht er trotzdem nicht." Und das ist der springende Punkt: Einerseits tönt die Politik fast täglich davon, dass sie den Standort Deutschland fit machen will für die digitale Zukunft. Gleichzeitig werden für Live-Streaming-Angebote Rundfunklizenzen verlangt - das geht beim besten Willen nicht zusammen und zeigt ein weiteres Mal das antiquierte Medienverständnis von Staat und Behörden. Nicht zuletzt trägt diese Vorgehensweise zu weiterer Politikverdrossenheit bei und zu der grundlegenden Einstellung, dass "die da oben machen, was sie wollen" - eine fatale Entwicklung.

Mir ist bewusst, dass es Regeln gibt. Die BLM hat sie veröffentlicht. Ob die richtig sind und im speziellen Fall z.B. vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben würden, ist eine andere Geschichte. Bisher scheinen diese Regeln die Behörde selbst kaum interessiert zu haben oder sie hat die nach eigenem Ermessen ausgelegt - die Guten ins Töpfchen, die schlechten auf den Index. Dennoch bin ich der Überzeugung, dass ein gestandener Medienrechtler das Ansinnen der Landeszentrale in der Luft zerreißen kann. Bleibt zu hoffen, dass der "Drachenlord" fundierte juristische Unterstützung bekommt, der es gelingt, die Bayerische Landeszentrale für neue Medien in die Schranken zu weisen. Ansonsten wäre der Vorgang ein weiterer Sargnagel für das Internet, wie wir es heute kennen.

Übrigens: "Die Kosten für eine Rundfunklizenz ergeben sich aus dem RStV. Beschränkt sich die Zulassung des Programms auf die Verbreitung über das Internet, ist mit Gebühren in Höhe von 1.000 bis 10.000 Euro zu rechnen." Alleine diese Tatsache dürfte ausreichen, um einer Vielzahl der Anbieter den Strom abzudrehen.

Michael Schmidt

Foto: LANIZmedia

29.03.2019

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